von Jörn Wiedemann
Die aktuelle Krise hat uns vor Augen geführt, wie verwundbar unser Wirtschaftssystem geworden ist.
Grenzschließungen, die Unterbrechung der globalen Lieferketten, Home-Office, wegbrechende Absatzmärkte. Praktisch jede Branche wurde davon mehr oder schwer getroffen. Ausnahmen gibt es z.B. in der Lebensmittelbranche und in regionalen Märkten. Nun gilt es, aus der Krise zu lernen, um Risiken für die Zukunft zu minimieren und die Geschäftsmodelle an die neuen Erfordernisse anzupassen.
Eine Möglichkeit ist, die regionalen Kreisläufe zu stärken bzw. sie wiederaufzubauen.
Im Lebensmittel- und Landwirtschaftsbereich haben wir bereits einen Trend, der zeigt wohin die Reise geht. Ein neues Bewusstsein für die Qualität der Produkte, aber vor allem auch ihre Herkunft führt zu neuen Geschäftsmodellen oder zur Wiederbelebung bewährter Konzepte. Dorfläden, solidarische Landwirtschaft, Genossenschaften und Regionalwährungen sind einige Beispiele dafür.
Sie alle stärken die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der lokalen Wirtschaft und verringern die Abhängigkeit von überregionalen, bzw. globalen Lieferketten.
Eine weitgehend verschenkte Chance liegt darin, unterschiedliche Produkte und Marktteilnehmer besser miteinander zu vernetzen und damit einen nachhaltigen Mehrwert zu schaffen.
Deutlich machen möchte ich das am Beispiel der neugegründeten Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft „Herzstück Horgau“.[1]
Diese Genossenschaft ist konsequent ökologisch, regional und an den Werten der Gemeinwohl-Ökonomie ausgerichtet. Das Ziel ist, die Wertschöpfung in der Region zu halten, heimische Produzenten zu stärken und gemeinwohl-orientiert zu Wirtschaften.
Die Region liegt westlich von Augsburg und umfasst derzeit die Gemeindegebiete Horgau und Diedorf. In Diedorf wurde vor kurzem auf 100 m² der erste Dorflanden, inklusive Café eröffnet. In Horgau wird in Kürze ein Dorfladen mit ca. 350 m² und Café eröffnet.
„Wir wollen den Einkauf und den Genuss wieder einfach und ehrlich machen,“ sagt Anja Dördelmann, Vorstandsmitglied der Genossenschaft. Vieles wie Brot, Nudeln, Marmeladen, Kräutersalze, Aufstriche aber auch feinste Pralinen und Torten werden vor Ort selbst gemacht oder eben aus der Region frisch bezogen. Hier können die Käufer sicher sein, dass sie Natürliches bekommen und brauchen kein Hintergrundwissen, was Zusatzstoffe oder Verknüpfungen von Herstellern mit großen Konzernen betrifft.
Es wird nur das eingepackt, was sich anders nicht transportieren lässt. Selbstgemachtes kommt in Pfandgläser. Neben Obst und Gemüse können die Kunden auch Nudeln, Getreide, Hülsenfrüchte und Müsli als offene Waren kaufen. Aus Schütten kann man sich dann die gewünschte Menge in eigene Gefäße abfüllen.
Alles, was verpackt werden muss, kommt in recycelbare oder kompostierbare Behälter, die nach dem Gebrauch wieder in den Kreislauf eingehen können. Denn das Herzstück Horgau hat sich vollständig den ganzheitlichen und ökologischen Geboten verschrieben. Dazu gehört die Kreislaufwirtschaft nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip. Das bedeutet: Es wird kein Müll produziert und alle Stoffe werden wiederverwendet. Das gilt auch für die Ausstattung: Der Laden wird weitestgehend mit Second-Hand-Möbeln und -Geräten ausgestattet, bei der Renovierung werden ausschließlich natürliche Materialien verwendet. Recycling und Upcycling sind eine Selbstverständlichkeit. Dies eröffnet auch neue Möglichkeiten für regionale Handwerksbetriebe.
Ein weiteres, schon viele Jahre bewährtes Beispiel kommt aus Vorarlberg. In Langenegg, einer kleinen Gemeinde im Bregenzer Wald stand die Gemeinde vor dem Problem die Nahversorgung sicherzustellen. In mehreren intensiven Prozessen mit Bürgerbeteiligung wurde ein Konzept entwickelt, um das eigene Dorf zu beleben und zu festigen. Neben einem neuen Dorfladen, wurde ein Dorfzentrum mit Café und Begegnungsräumen geschaffen, sowie eine Regionalwährung eingeführt.[i] Darüber hinaus schlossen sich die verbliebenen Landwirte zusammen, gründeten eine eigene Käserei und eröffneten für die Direktvermarkung eine Käsegeschäft. Auch im Bereich der Energieeinsparung ist Langenegg vorbildlich. Durch Umstellung auf Hackschnitzel, Biogas und Photovoltaik ist ein Großteil des Dorfes schon heute energieautark. . Durch die Einführung von Carsharing konnte die Zahl der Zweitwagen im Dorf reduziert werden.
Diese vielfältigen, gemeinschaftlichen Aktivitäten führten zu mehreren Effekten.
1. Es entstand ein neuer, belebter Dorfkern, der das Gemeinschaftsleben stärkte.
2. Die Nahversorgung wurde sichergestellt, was insbesondere für die älteren Bürger sehr wichtig ist.
3. Durch die neuen dörflichen Gewerbe entstanden zusätzliche Arbeitsplätze.
4. Es gelang nicht nur die Grundschule im Ort zu halten, sondern sie darüber hinaus auch zu erweitern, so dass sie heute auch für Nachbargemeinden Schulplätze stellt.
5. Durch die Einführung der Regionalwährung, gelang es einen Teil der Wirtschaftskraft, der davor in andere Kommunen abfloss, im Ort zu halten.
6. Durch den Dorfladen, das Café und die Regionalwährung wurde die regionale Wirtschaft gestärkt, da dort möglichst regionale Produkte verkauft werden. Dies sichert langfristig auch die Existenz von Handwerk und Landwirtschaft im ländlichen Raum.
7. In der Land- und Forstwirtschaft, sowie der Energieerzeugung wurden regionale Kreisläufe geschaffen, die dafür sorgen, dass der größte Teil der Wertschöpfung in der Region bleibt. Dies sichert langfristig die Versorgung und den Wohlstand der eigenen Region.
8. Die Abhängigkeit von Zulieferungen wurde stark verringert.
Zusammengefasst lässt sich festhalten. Jeder Region hat ihre Eigenheiten; eine Patentlösung für die Regionalentwicklung gibt es aber nicht. Es gibt aber viele bewährte Bausteine, um die regionalen Kreisläufe zu beleben. Entscheidend ist, sämtliche Maßnahmen unter Einbeziehung der Bürger anzugehen. Außerdem sind die sozialen Beziehungen und ein starkes Gemeinschaftsgefühl von Bedeutung. Wenn das berücksichtigt wird kann jede Region ihren Weg finden!
[i] https://www.br.de/mediathek/video/dorf-mit-zukunft-langenegg-in-vorarlberg-dorf-mit-zukunft-langenegg-in-vorarlberg-av:585d9f973e2f290012951dcb
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